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Alles nur im Kopf?!

Im Hintergrund laeuft Funk-Musik - James Brown mit Sex Machine - und im Ruecken liegt eine Waermflasche gegen den leicht schmerzenden Ruecken. Hier in Bremen ist gerade die Breminale. Gestern konnte ich eine nette Jazz-Funk-Band sehen und konnte natuerlich nicht widerstehen, mich dort zu bewegen.
Seit Ferienbeginn bin ich nun fast jeden Abend los: in den letzten 9 Tagen 7 Abende tanzend verbracht. Da kommen eine Menge Beobachtungen zusammen. Es ist spannend andere Menschen zu beobachten, sie blicken, tanzen, flirten, Spass haben zu sehen; aber vor allem ist es ansteckend, wenn sie Spass haben, im speziellen bei Musik - live oder nur vom DJ aufgelegt.

Das Stichwort ist schon gefallen und so kann man die Frage formulieren, was denn eigentlich ansteckend wirkt?

Oder auch: warum lassen wir uns so schnell und leicht von anderen Menschen in unserer Stimmungslage beeinflussen?

In der Systemtheorie wird vertreten, dass wir ein Teil eines Systems sind und ganz genau wie Wertheimer schon schrieb in seiner Gestalttheorie, ist das Ganze mehr als seine einzelnen Teile. Eine sehr spannende These, die er mit einem einfachen Beispiel erklaert: die Toene einer Melodie kann man austauschen, die ganze Abfolge transponieren, aber der Eindruck dieser Melodie bleibt erhalten.
Ein weiteres Beispiel bringt er mit der Herleitung des Flaecheninhaltes eines Parallelogrammes. Ist es schmal und "lang", sind also die "Grundflaechen" weit links und rechts auseinander, dann kommen Menschen nicht gleich darauf, den Flaecheninhalt zu berechnen, denn die Hoehe (die Strecke von unterer Grundlinie zur parallelen oben) liegt ausserhalb der Figur.

Aendert man aber nun die Perspektive, die Gestalt, dieser Figur, dreht sie, so liegt die Hoehe im Parallelogramm und die Berechnung erfolgt analog dem Abschneiden eines Stueckes und Heranlegen an die andere Seite, so dass ein Rechteck entsteht - voila!

Die Perspektive auf die Welt bestimmt unser Handeln. Fuehlen wir uns schlecht, ist die Welt duester und wir handeln eingeschraenkt; verkriechen uns eventuell in einem Kaefig und verpassen es, das Schoene zu sehen.
Geht es uns gut, koennten wir die ganze Welt umarmen, das Glueck liegt auf der Strasse und selbst das banale Einkaufen kann ein Heidenspass sein.
Der radikale Konstruktivismus geht sogar noch etwas weiter und postuliert, dass die Wirklichkeit in unserem Kopf existiert, dass wir nicht wissen koennen, was real ist: es existiert keine Wahrheit. Im gemaessigten Konstruktivismus gilt dagegen eine gefundene, allgemein akzeptierte, Wahrheit: was wir alle als real betrachten, muss demnach real sein.

Der Kern bleibt jedoch gleich: wir konstruieren unsere Wirklichkeit erst in unseren Koepfen, passen sie unseren Denkschemata an, und dann handeln wir auf dieser Basis.
Anderen etwas beizubringen scheitert meist daran, dass verschiedene Ansichten ueber die Realitaet vorhanden sind, ein gutes Beispiel fuer den einen, kann bei dem anderen voellig versagen.

Im Bereich der Kurztherapie wird der Ansatz verfolgt, die Faktoren zu veraendern, die auf einen beklagten Sachverhalt einwirken, um eine Art Irritation herzustellen. Der Klient kommt heraus aus seinen Ansichten, wird aufgeruettelt, kann eine andere Perspektive einnehmen und sich "selbst heilen". Ein banales Beispiel: einem naessenden Kind verbieten die Kleidung selber sauber zu machen, es geradezu anzustiften nicht die Toilette zu benutzen.

Und nun wieder zurueck zum Tanzen und den froehlichen Menschen, die zum Beispiel bei einem Konzert lachend vor der Buehne stehen und das Hier und Jetzt geniessen. Froehliche Menschen sind begehrenswert, wir suchen ihre Gesellschaft. Auf nonverbaler Ebene erklaeren sie uns ihre Sicht von der momentanen Realitaet. Wir aendern vielleicht unsere eigene dadurch, alles wird schoener und weil das gut ist, unser Gehirn nach diesem Gefuehl suechtig ist, werden wir nun zum Multiplikator.

Das nonverbale spielt eine wichtige Rolle, unser Koerper ist mehr als nur eine Bio-Maschine, die uns von A nach B transportiert. Die kann man nicht nur bei D. Beigel, C. Hannaford, sondern vor allem in der Theorie des Embodiment nachlesen, u.a. publiziert von G. Huether.

So wie andere auf uns wirken, so koennen wir auf andere wirken. Beim Flirten spielt dies einesehr wichtige Rolle und es verbluefft sicherlich viele Maenner, dass die Wissenschaft davon ausgeht, dass zwei Drittel aller Flirts von Frauen gestartet wird; das blosse Ansprechen als Handlung auf Seiten des Mannes ist Folge der Koerpersignale der Frau.

Im symbolischen Interaktionismus wird von mehreren Instanzen in uns ausgegangen, die sich verstaendigen bis es zur Handlung kommt, auch F. S. v. Thun spricht vom inneren Team. Und selbst Bestseller wie "Sorge Dich nicht, sondern lebe!" greifen auf, dass wir uns durch unser Selbstbild beeinflussen koennen.

Laecheln wir kuenstlich, so werden die gleichen Hormone ausgeschuettet wie bei einem wirklichen Lachen. Auch Mantras helfen uns, die Stimmung und unsere Koerperhaltung zu beeinflussen. Das Lesen dieser Stimmungen ist uns oft verschlossen, nehmen sie aber dennoch wahr.

Bin ich muede, habe zum Beispiel leichte Schmerzen im Ruecken, so mache ich mir schoene Gedanken, versetze mich in eine gute Stimmung, lass z.B. die Musik auf mich wirken: und schon kommt mir ein Laecheln ins Gesicht gerutscht.
Dieses merken andere Menschen, geniessen die Offenheit und das kleine Kollektiv froehlicher Menschen waechst.

Letztendlich stellt doch die Realitaet wie sie hier beschrieben ist einen Mittelweg zwischen den Theorien des radikalen und des gemaessigten Konstruktivismus'' dar: einerseits einigen wir uns auf die Realitaet, aber andererseits beeinflussen wir sie jedesmal neu durch die Perspektive auf sie.

[entstanden 2009]

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